Sonntag, 30. Dezember 2007

Ist der Kapitalismus zukunftsfähig?


Überlegungen zum gleichnamigen Gespräch mit Hans Ch. Binswanger, Mathias Binswanger, Guido Beltrami, alle Institut für Wirtschaft und Ökologie, St. Gallen CH, Friedrich Hinterberger, Wolfgangs Sachs, beide Wuppertal Institut, Michael Kohlhaas, DIW, Herbert Schustereder, Bildungshaus St. Virgil, Salzburg

Ernst Dorfner

Ob die Systemlogik des marktwirtschaftlichern Systems tatsächlich mit Zukunftsfähigkeit vereinbar ist [...], wissen wir nicht - und können wir nicht wissen. [...] Erst wenn sich in Zukunft herausstellt, daß eine Verbrauchsreduktion von Energie und Stoffen mit der Systemdynamik der Marktwirtschaft nicht vereinbar ist, müssen andere Wege des Wirtschaftens überlegt werden.
BUND/ Misereor,‘Zukunftsfähiges Deutschland’, S. 372

Aus der Analyse der ökonomischen Dynamik ergibt sich aber, daß ein Nullwachstum [...] ohne eine wesentliche Mutation der Geldwirtschaft nicht möglich ist.
H. C. Binswanger, ‘Geld & Wachstum’, Seite 119


Ist der Kapitalismus zukunftsfähig? So die bündige Frage. Dieser Begriff steht für das, was auch Marktwirtschaft, Geldwirtschaft, Eigentumswirtschaft benannt wird [1]. Jedenfalls geht es um die Zukunfts-fähigkeit dessen, was gesellschaftlich und ökonomisch ist. Das sehen ja auch Friedrich Hinterberger und Fred Luks so, wenn sie feststellen, “ökopolitische Vorschläge müssen von den tatsächlichen gesellschaftlichen Strukturen ausgehen - und nicht von irgendwelchen Wunschträumen”[2].

Angesichts der enttäuschenden Ergebnisse sowohl der Denver-Konferenz der G 8 als auch der Umwelt-konferenz der UNO in New-York im Frühsommer 97 sollte ja auch die Frage gestellt werden, ob es nur die Unwilligkeit der Beteiligten ist, die dieses so bewirkt, oder ob nicht doch mehr unbedacht blieb in der Darstellung der gesellschaftlichen Wirkmechanismen als bislang in den Studien über eine zukunftsfähige Entwicklung beschrieben wurde. Ob man denn doch nicht allzusehr von Wunschträumen statt von tatsächlichen gesellschaftlichen Strukturen ausgegangen ist und diese Täuschungen jetzt ent-’täuscht’ werden.

1.
Eine der renommiertesten dieser Studien ist ‘Zukunftsfähiges Deutschland’[3]. Sowohl in dieser als auch in ‘Ökologische Wirtschaftspolitik’ gehen die Autoren, allesamt Mitarbeiter des renommierten Wuppertal Institutes, in ihren ökonomischen Überlegungen vom Mainstream der ökonomischen Lehre, der Neoklassik, aus. Wiewohl sie die daraus entwickelte neoklassisch inspirierte Umweltökonomik damit kritisieren, daß sie wohl “ein formal überzeugendes theoretisches Bild” bietet, “das aber mit der Realität wenig gemein hat”[4], bildet sie doch weiterhin die Basis ihrer Überlegungen, welche trotz der Berücksichtigung neuerer Gedanken und Theorien, wie die der Institutionenökonomik, der evolutorischen Ökonomik oder der ökologischen Ökonomik, unverändert in ihrer paradigmatischen Annahme bestehen bleibt.

Dieses Paradigma beschreibt unsere Wirtschaft als eine geldvermittelte Tauschwirtschaft, in der heute fertige Güter und Leistungen gegen heute fertige Güter getauscht werden und dem Geld lediglich die Rolle eines neutralen Tauschvermittlers zukommt. Einen systemlogischen Zwang zum Wachstum gibt es dabei nicht - und kann es nicht geben. Denn niemanden geht es um Geld. Vielmehr - so die Theorie - geht es allen nur um die Güter und Leistungen und deren optimale Allokation. Jedem Angebot steht damit zwangsläufig eine Nachfrage gegenüber, wie es das Say’sche Gesetz formuliert. Die Ökonomik reduziert sich damit auf eine Optimierungsaufgabe, die sich im Ausgleich von Grenzkosten und Grenznutzen erfüllt. Die paretooptimale Allokation ist dann erreicht wenn im Gleichgewicht kein Individuum oder Kollektiv seine Situation durch seine Aktivitäten mehr verbessern kann, ohne die Situation eines anderen zu verschlechtern. Dabei wird der Mensch als homo oeconomicus, als rationaler Nutzenmaximierer, gezeichnet, dessen Bemühen es ist, dieser beschriebenen Optimierungsaufgabe möglichst gut nachzukommen. Daß es dabei den Markt, auf dem dies abläuft, schon immer gegeben hat und dieser nicht eine Eigenheit einer ganz bestimmten gesellschaftlichen Form ist, wird unhinterfragt als gültig vorausgesetzt [5].
Während jedoch die Grundannahmen vom Tausch von Gütern gegen Güter nirgends in der Realität zu erkennen sind, spielen offen vor uns liegende Strukturelemente, - mit denen wir alltäglich umgehen und uns deshalb so selbstverständlich sind - , wie Eigentum und Geld, in dieser Theorie keine konstitutive, sondern nur eine nachgeordnete Rolle. Wiewohl also Eigentum und Geld in der modernen gesellschaftlich-rechtlichen Realität so bestimmend hervortreten, werden sie auch von den Wuppertaler Autoren nur am Rande angeprochen und nicht als “tatsächliche gesellschaftliche Strukturen” erkannt.

Folgt man nun aber den Gedanken der neoklassischen Schule, so ist es auch verständlich, daß einer der Hauptvertreter dieser Schule, Arthur Cecil Pigou, sein Hauptwerk ‘Ökonomie der Wohlfahrt’ genannt hat[6]. Soziale Wohlfahrt wird demnach dadurch erzielt, daß die einzelnen Wirtschaftssubjekte diese Allokation optimal bewältigen. Allerdings ist nicht auszuschließen, daß einzelne Menschen oder Kollektive diese täglichen Optimierungsaufgaben nicht vollständig erfüllen, so daß es individuell als auch gesellschaftlich zu suboptimalen Lösungen kommt. Dazu zählt auch Arbeitslosigkeit, die danach nur eine freiwillige sein kann, weil eben über zu hohe Arbeitskosten die Erzielung des optimalen Gleichgewichtes verhindert wird.

Da in diesem Verständnis eine Krise somit keinen theoretischen Ort findet, gibt es auch ökonomisch keine Umweltkrise, sondern nur eine suboptimale Allokation von Ressourcen, die allerdings ökologisch zur Krise führen kann. So geht es ökonomisch bei der Entwicklung einer zukunftsfähigen Wirtschaft von vornherein ‘nur’ darum, aufzuspüren, welche Behinderungen dem Erreichen eines optimalen Zieles entgegenstehen, womit sich auch die Wuppertaler Studie beschäftigt, und ob bzw. welche Wirtschaftspolitik zu deren Überwindung betrieben werden soll. In den unterschiedlichen Politiken drücken sich zwar die verschiedenen Richtungen -hier mehr Staat, dort mehr Markt - aus, die aber allesamt das Paradigma der neoklassische Lehrmeinung nicht in Frage stellen. Diese Richtungen werden auch in ‘Ökologische Wirtschaftspolitik’ dargestellt.
Die grundsätzliche Frage, ob denn diese unsere Wirtschaft überhaupt zukunftsfähig ist, kann demnach aber gar nicht gestellt werden. Diese Zukunftsfähigkeit ist vielmehr eine Selbstverständlichkeit. Die Rahmenbedingungen müssen dahingehend ‘nur’ optimiert werden.
Ebenfalls findet der Zwang zum Wirtschaftswachstum darin keine theoretische Begründung. So können die Wuppertaler Autoren dann auch schreiben, daß sich “eine [...] Wachstumsbeschränkung [...] als Folge der Stoffstromreduktion [...] durchaus als vereinbar mit der marktwirtschaftlichen Ordnung erweisen kann.[7]” ‘Kann’: Offensichtlich sind sie selbst nicht ganz davon überzeugt, denn skeptisch merken sie wenige Zeilen weiter unten an: “Ob die Systemlogik des marktwirtschaftlichern Systems tatsächlich mit Zukunftsfähigkeit vereinbar ist [...], wissen wir nicht - und können wir nicht wissen”.[8]


2.
Nun braucht die Neoklassik kein gesondertes monetäres Profitmotiv, damit es überhaupt zur Produktion von Gütern kommt. Diese Produktion und die Möglichkeit hierzu wird stillschweigend angenommen. Evolutionär ist es dabei zur Arbeitsteilung gekommen, weil sich diese im Zusammenhang mit dem den Menschen von Urzeiten an innewohnenden “Hang zum Tauschen”, wie ihn Adam Smith den Menschen andichtet, sich als die vorteilhafteteste Weise der Deckung von Bedürfnissen herausgestellt hat. Dies reicht für die nötige Dynamik der Wirtschaft. Der Vorteil oder Gewinn liegt in der Tauschrelation der arbeitsteilig erzeugten Güter selbst, findet sich also im individuellen Verhältnis von eingetauschtem Güternutzen gegenüber dem hingegebenen Grenzaufwand, und wird in einer geldvermittelte Tauschwirtschaft nur monetär eingekleidet. Von all denen, die das Gut A herstellen, erzielt beim Tausch gegen das Gut B eben der den größten Gewinn, der A mit dem geringsten Aufwand herstellt. Das drückt sich materiell und nicht monetär aus, kann aber monetär eingekleidet werden.
In diesem Sinn gibt es im ‘neoklassischen’ Wettbewerb zwar Gewinner, aber keine Verlierer, die auch ausscheiden müssen. Gewinner ist der mit den geringsten Aufwendungen. Alle anderen müssen ‘halt nur mehr hineinstecken’, braucher längere Zeit dazu, ihr Verhältnis ‘Grenznutzen zu Grenzkosten’ wird kleiner. Der Wettbewerb ist kein Ausscheidungswettbewerb. Es ist wie eine Wettfahrt flußab: Auch die, die nicht rudern, kommen an - nur eben später.

In eben diesem Sinn sehen die Wuppertaler Autoren Wettbewerb nur von der positiven Seite: “Erst ein ausreichender Wettbewerb schafft innerhalb einer geeigneten Rahmensetzung ausreichende Anreize für die Suche nach Innovationen. Ein wirtschaftlicher Rahmen ohne geeignete Politik gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist nicht geeignet, die gewünschten Ziele zu erreichen .”[9]

Fraglich bleibt allerdings, ob sie dies auch dann noch so sehen, wenn sie schreiben, “daß das Streben nach Gewinn das Ziel unternehmerischer Aktivitäten ist und bleibt”[10] und es wenig weiter dann heißt, “daß sich eine Erhöhung der Ressourcenproduktivität schon unter Kostengesichtspunkten ‘rechnet’”[11]. Hier kommt für den Betriebswirt doch der Aspekt zum Tragen, der da heißt, daß noch vor dem Beginn der Produktion die Frage nach dem Geld steht, mit dem diese finanziert wird. Und das ‘Sich rechnet’ nichts anderes heißt, als daß zumindest die ursprünglich investierten Geld-Kosten samt Zinsen durch den Verkauf der Produkte wieder hereinkommen müssen.
Hier in der Betriebswirtschaft wird also das Geld zum Um und Auf der Entscheidung. Und der Betriebswirt weiß ganz genau, daß er zu Kredit und Geld nur kommt, wenn er eine Sicherstellung mittels disponiblen Eigentum leisten kann. Das aus dem Kredit entspringende Geld setzt also haftendes Eigentum voraus, wie anhand eines guten Handelswechsels gezeigt werden kann. Geld ist somit ein Derivat des Eigentums, eine Forderung gegen das Eigentum der Banken bzw. der Notenbank, wie Heinsohn und Steiger[12] überzeugend nachweisen, und zwar eine Forderung auf bereits vorhandenes und nicht erst zu schaffendes Eigentum. Dabei ist Eigentum etwas, das über den Besitz an materiellen und immateriellen Sachen hinausgeht und allein aus einem Rechtsakt hervorgeht[13]. Eigentum ist das ‘wohlerworbene Recht’.

Wenn sich nun auch über diese Theorie trefflich streiten läßt, so weiß der Unternehmer doch ganz praxisnah diese Gegebenheiten zu bedenken: Er weiß, daß er seines Eigentums, das er zur Sicherstellung seines Kredites verpfändet hat, dann verlustig geht, wenn er die Tilgung des Kredites samt Zinsen nicht leisten kann. Dieser Konsequenz ist er sich immer bewußt, wenn er davon spricht, ob sich etwas ‘rechnet’.
Um diesen Verlust aber zu vermeiden, muß er ständig bemüht sein, mit seinen Kosten konkurrenzfähig sein, um zumindest die Tilgung der Schulden einschließlich der Zinsen durch den Verkauf wieder hereinspielen zu können. Der Wettbewerb hat also seine wesentliche Begründung im Bemühen des Unternehmers, die Kosten für die Herstellung seiner Erzeugnisse und damit seine Verschuldung möglichst niedrig zu halten. Je niedriger diese Kosten sind, um so geringer sowohl die Verschuldung und um so höher die Chance, seine Produkte kostendeckend verkaufen zu können.
Da er diese Schulden aber nur mit Geld tilgen kann, muß er seine Produkte gegen Geld verkaufen und darf sie gerade nicht gegen Güter tauschen[14].
Das Bemühen um Minimierung der Kosten in Geld ist somit keine ‘Schönheitsfrage’, der Beste zu sein, wie es die Neoklassik vermittelt, sondern eine Frage auf Leben und Tod. Somit geht es beim Wettbewerb um wesentlich mehr als um eine Optimierungsaufgabe.

Kosten können nun aber nicht nur durch die Einsparung von Arbeit reduziert werden, sondern auch durch die von Material- und Energie. Werden diese Kosteneinsparungen nun aber durch die Steuerpolitik zu unterlaufen versucht, geht dies zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit. Dies gilt auch für eine Wertschöpfungsabgabe.


3.
Dieses Bemühen gilt es nun nicht nur einzelwirtschaftlich zu bedenken, sondern auch im gesamtvolkswirtschaftlichen Kontext. Da die Kosten auf der anderen Seite das Volkseinkommen bilden, mit denen nach den Erzeugnissen nachgefragt werden kann, hängt dessen Höhe also davon ab, wie hoch sich die Unternehmer insgesamt zu verschulden bereit sind. So gilt, daß makroökonomisch durch die Reduzierung der Kosten auch das Volkseinkommen und damit die ffektive Nachfrage reduziert wird. Für den einzelnen Unternehmer ergibt sich folglich nur solange ein Wettbewerbsvorteil, wie die Gesamtkosten - und damit das Volkseinkommen - durch diese einzelwirtschaftliche Bemühung noch nicht wesentlich gesunken sind und nur er allein eine verbesserte Kostenposition hat.
Um aus diesem Spiel nun aber nicht ausscheiden zu müssen, werden sich auch die anderen bemühen, diesen Positionsvorteil wieder ein- bzw. zu überholen. So wird es makroökonomisch geschehen, daß durch Kostenreduzierungen bei gleichbleibendem materiellen Output ein Schrumpfen des monetären Sozialproduktes in einer Spirale nach Unten eintritt.

Nun kann zudem gezeigt werden, daß bereits eine nichtwachsende, aber doch noch nicht schrumpfende Wettbewerbswirtschaft ein monetäres Nullsummenspiel ist[15], d.h. daß nur ein Teil der Unternehmer monetäre Gewinne machen kann, die sich dann aber in Summe zu gleich hohen Verlusten des anderen Teiles saldieren müssen. Auch ohne Zinszahlungen kann sich so immer nur ein Teil der Unternehmer wieder entschulden, während bei den anderen die Schulden akkumulieren.
Schon aus diesem Grund braucht unsere Wirtschaft ein entsprechendes monetäres Wachstum, damit insgesamt ein positiver Saldo der Gewinne und Verluste über die ganze Volkswirtschaft möglich wird, der immer nur einen ganz geringen Teil der Unternehmen zum Ausscheiden zwingt und so der Volkswirtschaft eine ausreichende Stabilität verleiht. Je größer dieser positive Gewinnsaldo, umso stabiler ist die Gesamtwirtschaft, werden viele Fehler verdaut. Im anderen Fall wird der Wettbewerb immer härter, da Ertragsüberschüsse der einen über die Tilgung der Schulden hinaus bei den anderen immer mehr dazu führen, daß nicht einmal die Tilgungen geschweige denn die Zinsen der Schulden geleistet werden können. Jeder Fehler schlägt sofort voll durch.

Genau dies aber wird in der laufenden Diskussion immer übersehen, in der es neben der Veränderung der Allokation zwischen Arbeit einerseits und Material- und Energieverbrauch andererseits ‘nur’ um den Zusammenhang von wirtschaftlichem Wachstum und den Arbeitsplätzen geht. Vom Wachstum abhängig ist aber auch der Gewinnsaldo des gesamten Unternehmensbereiches. Mit kleiner werdendem Wachstum wird auch dieser Saldo kleiner und das Verlustrisiko größer, was auf die Investitionsbereitschaft und damit auch auf das Angebot an Arbeit drückt. Die Wirtschaft gerät in eine deflationäre Abwärtsspirale.
Es geht somit nicht allein um eine Neuverteilung der Arbeit, wobei die Nachfrage nach letzterer durch eine ökologische Steuerreform erhöht werden soll. Denn Vermögensbesitzer haben nicht nur die Wahl, Geld für Arbeits- oder Energiespar-Investition zu verwenden. Eigentümer können sich, aber sie müssen sich nicht verschulden. Aber nur dann, wenn sie das tun, entsteht Erwerbsarbeit.
Sie verschulden sich aber nur dann, wenn Aussicht auf Mehrung ihres Eigentums über Gewinne und Zinsen besteht.

4.
In diesem Modell geht es also nicht um das (mehr oder minder) gleichzeitige Tauschen von fertigen Gütern gegen fertige Güter, sondern um das Bezahlen von fertigen Gütern mit Geld. Damit aber kommt die Zeitfrage in einer ganz eigenartigen Weise ins Spiel: Das Geld, mit dem ‘getauscht’, d. h. bezahlt wird, wird in Form von Löhnen und Zukäufen für jene Produktion bezahlt, die erst im Laufen ist. Gekauft werden aber damit Waren, die schon fertig am Markt sind. Damit verschränkt sich hier das Gestern mit dem Heute, wogegen beim Tausch ‘fertiges Gut gegen fertiges Gut’ gewissermaßen alles zeitgleich erfolgt.
Kommt es so aber zu einem Ansteigen der Ausgaben der Unternehmern bei steigender Produktion gegenüber der Vorperiode, so erhöhen sich gleichfalls die Einkommen, womit auch die effektive monetäre Nachfrage steigen kann. Somit können heute Preise für jene gestern erzeugten Waren realisiert werden, die höher sind als deren Kosten. Solange dieser Geldvermehrung nun aber auch eine Vermehrung des Output zeitversetzt folgt, kommt es zu keiner wesentlichen inflationären Entwicklung.
Umgekehrtes gilt nun aber genau so: Sinken die gesamten Kosten der Produktion gegenüber der Vorperiode, so können die am Markt vorhandenen Waren nur zu Preisen verkauft werden, die grosso modo nur kleiner sein können als deren damals investierte Kosten ohne die noch zusätzlich anfallenden Zinszahlungen. Ein übermäßig großer Teil der Unternehmen wird daher seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen können und bankrottieren .

Daraus muß nun aber gefolgert werden, daß eine Wettbewerbswirtschaft, in der ja die monetären Kosten insgesamt - und nicht nur die Arbeitskosten - ständig reduziert werden, für sich allein nicht bestehen kann. Sie muß ergänzt werden durch ein ständiges Wachsen der Wirtschaft, mit dem zusätzliche monetäre Ausgaben und damit zusätzliche Einkommen entstehen, so daß die Kosten- und damit die Einkommensreduktion durch den Wettbewerb durch ein anderweitiges Wachstum von Kosten und Einkommen überkompensiert wird. Nur so können die am Markt vorhandenen Produkte zu Preisen gekauft werden, die in Summe höher sind als deren Kosten und so nicht nur die Zahlung der Zinsen und Gewinne, sondern für die Mehrheit der Unternehmen überhaupt erst die Tilgung der Schulden ermöglichen.


Um es zu wiederholen: Ohne Wachstum gerät die Wirtschaft in eine deflationäre Abwärtsspirale.
Ein gravierender Unterschied zwischen einer Wirklichkeit, die mit dem neoklassischen Modell beschrieben wird, und einer entsprechend dem Modell einer Geld- oder Eigentumswirtschaft, kommt ja darin zum Ausdruck, daß im ersteren alles zeitgleich passiert - somit Schulden hier keinen theoretisch Ort finden -, während im anderen Fall das Gestern, Heute und Morgen ineinander greifen. So ist das Heute durch das Gestern vorbestimmt, und dieses Heute vorbestimmt unumkehrbar das Morgen: Die Schulden von gestern erzwingen heute eine Verschuldung für deren Tilgung und Zinsen, die wiederum die Höhe der Verschuldung von morgen bestimmt. So ist die Zukunft aus dem Zurückliegenden - das nicht Vergangenes ist - prädestiniert.

Wenn nun aber Geld durch Verschuldung entsteht und folglich durch Entschuldung wieder verschwindet, so gibt es Geld nur im Zeitraum zwischen Ver- und Entschuldung. Nur in diesem Zeitraum kann es auch als ‘Tauschmittel’ von denen verwendet werden, die sich selbst nicht verschulden, sondern etwa Lohnarbeit gegen Geld verkauft haben. Das Vorhandensein von Geld setzt somit immer wieder neue Investitionen voraus, die im Laufe der Zeit abgeschrieben werden. So wird auch die Frage zu beantworten sein, wieweit es ohne Investitionen und nur dem zeitgleichen Austausch vor allem von Dienstleistungen überhaupt Geld geben kann.

Diese Verschuldungen für die Investitionen müssen nun aber von Periode zu Periode höher werden, da sie nicht nur die früheren Schulden, sondern auch die darauf mit der Zeit anfallenden Zinsen abdecken müssen. Das aber heißt, daß mit steigendem Sozialprodukt die Verschuldungsbereitschaft der Unternehmer zunehmen müßte und nicht abnehmen dürfte.
Diese Verschuldungsbereitschaft aber sinkt nun. Es wird zuwenig investiert, womit der positive makro-ökonomische Gewinnsaldo sinkt. Gewinne sind für den einzelnen Betrieb immer stärker nur mehr aus dem Wettbewerb zu Lasten anderer erzielbar, womit der Wettbewerb immer härter und schärfer wird. Dieser Wettbewerb wird dabei über die Finanzmärkte durch positive Rückkopplung noch verstärkt, weil die Aktionäre immer sehr rasch die Schiffe verlassen, die zu sinken drohen, und auf jene drängen, die sich seetüchtiger machen. Damit verbunden sind immer stärkere Unternehmenskonzentrationen und immer weitere Rationalisierungen zwischen den Unternehmen selbst, wie auch innerhalb der verschiedenen Standorte von Unternehmen auch bei guter Gewinnlage, die damit die strategischen Finanzreserven für den Kampf der Giganten schaffen bzw. herbeischaffen sollen. Es geht um ‘Übernahmen’ (hostile take-over), oder die Verhinderung ‘feindlicher Übernahmen’. [16]
All dies sind Erscheinungen, die derzeit verstärkt zu beobachten sind, wiewohl wir noch nicht bei einem Nullsummenspiel angelangt sind, uns dem aber stark nähern. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil nun Rationalisierungen im organisatorischen Bereich ohne wesentliche Investitionen - Stichworte ‘lean management’ und ‘lean production’ - durchgeführt werden, um so die eigene Verschuldungsposition weniger groß werden zu lassen.


5.
Zumindest in den theoretisch Grundzügen scheint die Ökologisierung der Wirtschaft in der neoklassischen Vorstellungswelt vergleichsweise einfach. Ist es da eben ‘nur’ die Frage der richtigen Allokation, die natürlich auch in den außerökonomischen Fragen der Information, des mangelnden Einblickes in komplexe Zusammenhänge der Natur und Umwelt u. a. m. ihre Schwierigkeiten findet, so vervielfacht sich diese Komplexität wesentlich bei einer Betrachtung der ökonomischen Zusammenhänge, die Geld nicht von vornherein als neutral abtut. Und es erhebt sich die Frage, ob nicht sehr tiefgreifende kultursoziologische und psychosoziale Verhaltensänderungen für diese Zukunftsfähigkeit notwendig werden. Wiewohl die Neoklassik die Realität nicht abbildet, ist es ihr doch gelungen, diese zu formen: So ist das neoklassische Bild vom Menschen als Nutzenmaximierer im Laufe der Zeit immer stärker verinnerlicht und ‘Wirk’-lichkeit geworden. Ökonomische Entscheidungen reduzieren sich folglich immer mehr auf ‘mehr oder weniger’, ‘billiger oder teurer’. Geld und ‘Geld machen’ prägt daher unsere Gesellschaft. Sie ist eine ‘Geldgesellschaft’.

Wenn aber nun die Existenz von Geld die Bereitschaft zur Verschuldung für Investitionen voraussetzt, so ist doch vorerst einmal vorstellbar, daß diese in Form von Investitionen in die Erhöhung der Material- und Energieeffizienz und nicht mehr für die Rationalisierung der Arbeit getätigt werden. Um einen ausreichend hohen makroökonomischen Gewinnsaldo zu erzielen, müssen aber auch hier die Netto-Investitionen steigen. Diese aber sind auch wieder abzuschreiben.

Nun kann nach der Vorstellung der Wuppertaler Autoren die Material- und Energieeffizienz nur dadurch erreicht werden, daß die Produkte nicht nur effizienter, sondern auch weniger davon erzeugt werden bzw. die Massenproduktion zumindest stark eingebremst wird. Die einzelnen Gebrauchsprodukte müssen also längerlebiger und reparaturfreundlicher werden, sie sollen intensiver genutzt werden, indem diese etwa nicht individuell angekauft, sondern nur mehr gemietet werden. ‘Reparaturgesellschaft’ und ‘Car-sharing’ stehen beispielsweise dafür.
Wenn nun aber zudem die weiterhin notwendigen Netto-Investitionen ein dynamisches Innovationspotential voraussetzen, ergibt sich ein recht kurzer Zeitzyklus für die vorausgehenden Innovationen und Investitionen. Die hohen und notwendigerweise weiter steigenden Fixkosten müssen daher auch in sehr kurzer Zeit bei einem verringerten Jahresausstoß abgeschrieben werden. Das aber heißt dann, daß bei weiterhin steigenden Gesamtinvestitionen die anteiligen Fixkosten auf eine insgesamt wesentlich geringeren Produktionsmengen umgelegt werden müssen, was zu steigenden Stückkosten führt.
Dadurch aber wird, so ist zu befürchten, der Wettbewerbsvorteil, der durch geringeren Material- und Energieverbrauch erreicht werden soll, wieder mehr als egalisiert. Es ist daher mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die solcherart hergestellten Produkte in der Anschaffung wesentlich teurer sind als die konventionell hergestellten.

Offen bleiben muß aber auch die Frage, ob die Hoffnungen in die Dienstleistungsgesellschaft - etwa besagte Reparaturgesellschaft - so einfach erfüllt werden können. Wie schon angedeutet, erhebt sich ja die Frage, wieweit in einer derartigen Gesellschaft Geld entsteht, das ja Verschuldung und damit Vorfinanzierung während eines Zeitraumes voraussetzt. Diese Vorfinanzierung wird auch bei der Erbringung von Dienstleistungen notwendig, wo es um dafür erforderliche Gebäude, Einrichtungen und Geräte als auch um Ausbildung, d.h. um Humankapital, geht. All das wird ja dann mehr oder weniger langfristig abgeschrieben.
Wo aber der direkte Austausch nur von persönlichen Diensten erfolgt, findet Vorfinanzierung und damit Verschuldung und Geld keinen Platz. Hier käme somit erst das Modell, das die Neoklassik beschreibt, zum Tragen: Der gegenseitige Tausch von Leistungen, der über ein reines Zählmittel, ein Numeraire, verrechnet wird.
Das aber ist etwas ganz anderes als unser heutiges Geld. Während dies den Anspruch auf vorhandenes Eigentum der Bank verspricht, ist jenes Zählmittel ein Anspruch auf eine noch zu erbringende Gegenleistung desjenigen, der die Leistung seines Tauschpartners bereits konsumiert hat. Genau dieses wird in Form der in letzter Zeit so zahlreich entstandenen Tauschringe versucht.
In diesem Tauschsystem ‘verschuldet’ sich allerdings nicht ein Unternehmer, sondern der Konsument gegenüber seinem Tauschpartner. Er ist diesem etwas schuldig, solange dieser selbst nicht eine Gegenleistung einfordert. Das ist ein eklatanter Unterschied gegenüber unserem Geldsystem, in dem ja der Geldbesitzer mit dem Geld eine Forderung gegenüber der Bank bzw. die Notenbank hält[17]. In den in Österreich gegründeten Tauschringen ist dagegen rechtlich festgelegt, daß die offenen Schulden gegenüber dem Tauschpartner, nicht aber gegenüber der Verrechnungsstelle bestehen[18]. Es liegt also am Gläubiger, vom Schuldner eine Gegenleistung einzufordern, wogegen er kein Geld einfordern kann.
Wie schwierig und neu der Umgang mit einem solcherart neuen Medium aber ist, zeigen diese Tauschringe. Schwierig auch deshalb, weil Geld theoretisch als ein solches Medium beschrieben wird, es aber tatsächlich nicht ist. Der Mainstream der ökonomischen Wissenschaft hat solcherart auch jene irre geführt, die einen ‘neuen Weg nach Indien’ suchen. Sie bemühen sich, dieses theoretisches Modell in die Wirklichkeit umzusetzen, während die Vertreter des Mainstream so tun, als gäbe es diese Wirklichkeit schon.



Endnoten
[1] Die Klassik entwickelte mit dem ‘Kapitalismus’ eine Herrschaftstheorie, die Neoklassik die Theorie der ‘Marktwirtschaft’, die Berliner Schule des monetären Keynesianismus die der ‘Geldwirtschaft’, Heinsohn und Steiger die der ‘Eigentumswirtschaft’. Siehe G. Heinsohn / O. Steiger, Eigentum, Zins und Geld, Rowohlt 1996,
[2] F. Hinterberger / F. Luks, Ökologische Wirtschaftspolitik, Birkhäuser, 1996, S. 303
[3] BUND/Misereor, Zukunftsfähiges Deutschland, Birkhäuser, 1996
[4] F. Hinterberger / F. Luks, S. 241
[5] Diese Annahme gehört nach Meinung der von F. A. Hayek geprägten neo-österreichischen Schule in die “wissenschaftliche Folklore” . Siehe dazu G. Heinsohn / O. Steiger, S. 41
[6] So ist es nicht überraschend, daß dieser Arthur Cecil Pigou auch in der modernen Theorie der Internalisierung der externen Umwelteffekte eine bedeutende Rolle spielt.
[7] BUND/ Misereor, Seite 372. Dort heißt es weiter: Der Wissenschaftliche Beirat ‘Globale Umweltveränderung’ weist [...] auf die Wachstumsdynmik des marktwirtschaftlichen System hin, macht aber gleichzeitig darauf aufmerksam , daß es “im Gegensatz zu mancher Behauptung - falls die ökologischen Rahmenbedingungen dies erzwingen - im Prinzip auch mit dem Gedanken des Nullwachstums vereinbar ist.”
8 BUND/Misereor, Seite 373
[9] F. Hinterberger / F. Luks, Seite 301
[10] F. Hinterberger / F. Luks, S. 251
[11] F. Hinterberger / F. Luks, S. 252
[12] G. Heinsohn / O. Steiger, op. cit.
[13] Dadurch wird nach Heinsohn und Steiger die mit dem Eigentum entstehende immaterielle Eigentumsprämie blockiert wird. Diese Blockade der Eigentumsprämie muß durch den Zins abgegolten werden, denn der Kreditnehmer zu zahlen hat.
[14] Dieses Problem zeigt sich sehr rasch bei den Tauschringen.
[15] Dieser Umstand wird in der weiteren Erklärung noch deutlicher herausgearbeitet.
[16] Die Gewinnsicherung erfolgt dabei nicht durch Wachstum, sondern durch Ausschaltung von Konkurrenz.
[17] G. Heinsohn / O. Steiger stellen dies in op. cit. ausführlich dar.
[18] Näheres bei M. Graf, TALENTE-Tauschring Tirol, Innsbruck




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